Freitag, 12. Oktober 2012

Fußballerische Sozialisation

Der Header muss leider temporär dem alten weichen. Eine Abmahnwelle macht auf kleinen Blogs wohl die Runde und ich bin lieber auf der sicheren Seite.
 
Der private und institutionelle Stress ist so langsam überwunden, demnach bleibt mir endlich mehr Zeit und die Lust, mich in dieser Zeit mit Fußball zu beschäftigen. Etwas lebendiger sollte es hier die Tage wieder werden - pünktlich zur Spieltagspause.

Da ich mich nun eigentlich nicht auf das letzte Wochenende rückbesinnen möchte, handle ich die aktuellen Geschehnisse im Schnelldurchlauf ab: 1. Der Besuch in Stuttgart stärkte den Eindruck, dass man gehörig ins Stolpern kommt, sobald der Gegner das Tempo anzieht. 2. Renato Augusto ist nur zu bemitleiden. Gerade, wenn man meint, man kriege endlich von dem Brasilianer, was man sich seit Jahren erhofft, funkt sein Körper dazwischen. 3. Ballacks Karriereende interessiert mich nicht, aber ich bin wohl auch einer der wenigen, die ihn nie für den überragenden und zeitweise wichtigsten Fußballer Deutschlands gehalten haben. 4. Mein Interesse an der Nationalmannschaft sinkt.

Ein ganz anderes Thema beschäftigt mich seit geraumer Zeit. Die 11 Freunde beschäftigte sich vergangenen Monat mit der fußballerischen Sozialisation im Kinder- und Jugendalter. Wie bringt man den Nachwuchs seinem Verein nahe? Wie prägend ist der erste Stadionbesuch? Was tun, wenn der Sohnemann einen anderen Club favorisiert? Fragen, die mich gedanklich zu einer viel entscheidenderen führten: Muss es denn überhaupt Leverkusen sein? Ich selbst bin durch meinen Vater an den Verein gebunden. In den Mittagspausen seiner Schulzeit schaute er schon damals beim Training zu und verfolgte den Aufstieg aus der Regionalliga in die zweite Bundesliga und schließlich den Aufstieg in die höchste deutsche Spielklasse. In den 90ern durfte ich dann, zunächst gratis, mit ins Stadion kommen und musste auf dem Schoß meines Vaters Platz nehmen. Der Fußball war im kleinsten Kindesalter noch nebensächlich, viel spannender waren doch die Menschenmassen und der Eventcharakter. Später, als ich dann endlich den eigenen Sitz im Ulrich-Haberland-Stadion hatte, interessierte mich auch die Mannschaft zunehmend. Vollborn, Kirsten, Sergio, ...das klang nach großem Fußball. Im Stadion feierte und litt ich; in der eigenen Jugendmannschaft eiferte ich den Vorbildern nach. Vize-Titel ließen Tränen fließen, prägten andererseits auch die Identität des Vereins. Unvergessen, wie Tausende am 20.05.2000 trotz Auswärtsspiel den 34. Spieltag in der BayArena verfolgten. Zum euphorischsten Erlebnis meines Fan-Daseins wurde das Viertelfinal-Rückspiel der Champions League gegen den FC Liverpool. Das 4:2 in der 84. Spielminute übertrumpfte die 0:1 Niederlage aus dem Hinspiel und ließ Sekunden zu Stunden werden. Michael Owen traf gleich zwei Mal den Pfosten, dann wurde aus Nervenkitzel pure Freude. Auch René Adler beschrieb das Spiel als seinen persönlichen Höhepunkt als Zuschauer von Bayer 04. Momente wie dieser machen die Anhängerschaft bedeutsam und binden. Auch der Fast-Abstieg ein Jahr später war eine Erfahrung wert. Eine Talfahrt nach unten blieb uns bisher erspart. Der Gang in die zweite Liga würde die Zuschauerzahlen sicher deutlich nach unten drücken, letztendlich aber auch nichts an meiner Verbundenheit zum Verein ändern. Mal ehrlich: Als das Dach zum Beginn des Stadionumbaus fehlte, kam in der BayArena eine fantastische Zweitliga-Atmosphäre auf. Stattdessen kamen dann aber weitere Erfolge hinzu. Besuche in ganz Europa standen an und auch in Berlin durfte man wieder ein Maiwochenende verbringen. Schön war's - und der Blick in die Zukunft verspricht ähnlich schöne Jahre. Zwar ohne Titel, aber "mit Herz und Gefühl", wie die familienfreundlich langweilige Kuschelrockhymne verspricht.

Was bei einem solch schwelgerischen Rückblicken oft außer Acht gelassen wird, ist die Kehrseite. Düstere Momente sind nicht etwa sportliche Enttäuschungen und Misserfolge, sondern Eskapaden, die sich Vereine oder Spieler erlauben. Je mehr das Bewusstsein für den Fußball wuchs, desto kritischer wurde auch der Blick für das Beiwerk. Stets ist ein Auge auf die Medienrezeption des Vereins gerichtet. Kann ich mich noch mit dem Verein identifizieren? Sind Spieler, Trainer und Vorstand für die Identifikation zuträglich? Wenn letzteres nicht mehr der Fall ist, kann man sich immerhin noch in den Gedanken flüchten, dass die Fans den Verein bilden. Und dann wäre da noch der große Konzern im Rücken. Zu gerne würde man den Riesen einfach ausblenden. Als Fan von Bayer 04 Leverkusen fällt es schwer, Kritik an Vereinen wie Wolfsburg, Hoffenheim oder Leipzig zu üben. Die Beiträge vom Konzern werden in der Regel verschwiegen und von den Fans kleingeredet. "Vom Plastikklub zur Werkself, das war kein leichter weg"? Lächerlich. Nur, weil sich der Verein "Werkself" nennt (worauf ich auf dieser Seite übrigens verzichte), will man sein Image nun endlich zum Positiven verändert haben. Wer von den Fans ist denn heute bitte noch Lokalpatriot und ernsthaft stolz auf Ulrich Haberland? Erst im financial Fairplay dürfte man Vorwürfen gegenüber sicher sein. Etwas unangenehm spukt Bayer wohl den meisten Fans im Hinterkopf.

Um den Kreis zu schließen, stellt sich die Frage, ob Leverkusen der richtige Verein für den eigenen Nachwuchs sei. Sollte ich irgendwann mal einen Sohn zeugen, wird dieser natürlich Fußballfan. Wer einen Fußball mit in die Wiege gelegt bekommt, kann doch gar nicht anders, so denke ich. Ein Mädchen dürfte dafür von mir aus völlig selbstständig entscheiden, ob es sich für Fußball interessiert, oder doch lieber ganz klassisch weibliche Interessen entwickelt. Sicher würde ich den Sohn schon recht früh mit ins Stadion nehmen. Doch nicht mit dem Zweck, ihn zum Leverkusen-Fan zu machen. Es ist doch die Freude an dieser wunderbaren Sportart, die vermittelt werden soll. Und wenn Leverkusen diese nicht übertragen kann, dann eben ein anderer Verein. Freude, die nicht durch Erfolg entsteht. Auch nicht durch bunte Trikots, selbst wenn ein knalliges Rot auf grünem Rasen bestimmt einen mesmerisierenden Einfluss auf ein kleines Kind hat. Die Freude ist nicht ganz einfach zu greifen, denn sie besteht aus vielen Einzelheiten und manchmal nur aus Momenten. Sollte eine rationale Entscheidung der Vereinswahl zugrunde liegen, sähe der ideale Verein wohl so aus: Eine sympathische Mannschaft, die leidenschaftlich Spielt, stellt den Kern. Um sie herum besteht ein Netzwerk aus stabiler Wirtschaft und nachhaltiger Jugendarbeit. Kein künstliches Image bestimme diesen Verein. In der Fankurve ersetzen Toleranz und Gemeinschaftssinn Gewalt und Vorurteile. Ganz im Sinne der Fußballromantik wären die Spieler auf dem Platz elf Freunde und der Zuschauer auf der Tribüne tatsächlich der zwölfte Mann. Ein Teil des Vereins müsse man sein können, ob mit Engagement oder nur als begeisterter Zuschauer. Doch im Wandel der Zeit wird es diesen einen Verein nicht geben. Die ständige Veränderung im Vereinsfußball lässt den Romantikern nicht lange Luft. Nur für Momente ist ein Verein genau DER Verein, für den man Fußballfan ist. Und sollte so ein Moment irgendwann einmal meinem zukünftigen Sohn einen rot-schwarzen Schal in die Hand drücken, wäre ich sicher nicht unzufrieden.

4 Kommentare:

  1. Erstens: Sehr schön zu sehen, dass es weitergeht. Hatte schon ein wenig Sorgen. Also nicht um dich, sondern ganz egoistisch um mein Verlangen nach guten Blogs.

    Zweitens würde mich tatsächlich interessieren, warum du dich dagegen sträubst, Bayer Leverkusen als "Werkself" zu bezeichnen/benennen.

    Ich persönlich vermeide zum Beispiel das Synonym "der Bayer", allerdings aus dem einfachen Grund, dass ich diese Bezeichnung schlicht nicht leiden und hören kann.

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  2. Okay, wahrscheinlich bin ich da einfach ein wenig eigen. Ich vermeide die Bezeichnung, weil es für mich ein zu künstliches Image ist. Rudi Völler meinte zuletzt noch in einem Interview, dass man sich als Spieler damals noch geschämt hat, das Bayer-Kreuz auf der Brust zu tragen. Heute dagegen will man Stolz vermitteln. Dabei hat sich doch im Grunde gar nichts verändert. Am ehesten sind Kritiker doch nur müde geworden, Bayer als Plastikklub zu bezeichnen. "Werkself" deutet für mich eine enge Verbundenheit zum Konzern an, basierend auf der Entstehungsgeschichte. Als wolle man sich synthetisch ("chemisch" passt vielleicht noch besser) auf eine Tradition besinnen. Mit einer Betriebsmannschaft von vor Jahrzehnten hat die heutige Mannschaft aber so gar nichts mehr gemein. Deshalb lasse ich den Begriff einfach weg, ohne ihn weiter zu verteufeln.

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  3. Moin, könnten Sie mir sagen in welcher 11 Freunde Ausgabe der Artikel, auf den Sie sich beziehen, sich befindet ? Brauche den Artikel für meine Facharbeit. Gruß

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    1. Hey,
      der Artikel heißt "Frühkindliche Prägung" und befindet sich in der Ausgabe #130 (September 2012). Genähert wurde sich dem Thema allerdings anhand von Erfahrungsberichten, ist also wissenschaftlich kaum relevant. Viel Erfolg bei der Facharbeit!

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