Es gibt Themen, bei denen es schwer fällt, eine klare Position einzunehmen. Es sind die Themen, bei denen alle ein wenig Recht behalten. Der Fall des schwulen Bundesligaprofis im Interview ist eines davon. Vor nicht ganz einer Woche, am 11.09., veröffentlichte das Onlinemagazin der Bundeszentrale für politische Bildung fluter ein schriftliches Interview mit einem homosexuellen Fußballer. Das Gespräch führte der 25-jährige Adrian Bechtold, der Name seines Interviewpartners dürfe jedoch keinesfalls genannt werden. Klar gemacht wird aber, dass der Name jedem geneigten Fußballfan ein Begriff sein sollte. Klingt wichtig und schwerwiegend. Fakt ist aber leider: Das Interview lässt sich nicht verifizieren. Der Name ist nur Bechtold bekannt, nicht einmal die Redaktion des fluter ist eingeweiht. Das wirft Fragen auf.
Philipp Köster, Chefredakteur der 11 Freunde, vermutet ein gefälschtes Interview in der Tradition von Tom Kummer und Michael Born. Allein schon die Person des Journalisten Bechtold ist zweifelhaft. Sein Status beim fluter wird als "vertrauensvoll" beschrieben, doch Veröffentlichungen findet man kaum. Seinen twitter-Account deaktivierte er am Tag der Veröffentlichung des Interviews. Auch der Ort der Veröffentlichung ist augenfällig. Mediale Aufmerksam erfuhr der fluter bisher wenig, doch dank des strittigen Interviews kennt ihn nun ganz Deutschland. Zufällig passen Thema und Zeitpunkt ideal zur Kampagne "Geh' deinen Weg", deren Banner am dritten Spieltag der Bundesliga sämtliche Trikots verzierte. Eine Menge Aufmerksamkeit wird dem Interview zuteil. Merkel, Niersbach und Hoeneß nahmen schon Stellung.
Der wichtigste Angriffspunkt, auf den Köster sich beruft, ist die fehlende Verifikation. Die Redaktion müsse den Namen der Kontaktperson erfahren, und sei es nur der Chefredakteur. Köster muss sich allerdings selbst den Vorwurf gefallen lassen, journalistische Standards vernachlässigt zu haben, macht dann aber doch noch "seine Hausaufgaben", wie ein Leser treffent kommentiert. Auch inhaltlich kommt es im Interview zu Widersprüchen und Klischees werden aneinandergereiht. Einerseits dürfe rein niemand etwas erfahren, andererseits wisse man mannschaftsintern und sogar auf Bundesligaebene von mehreren schwulen Profis. Der Satz "Gesprochen wird kaum darüber, aber trotzdem weiß jeder Bescheid" wurde als Folge erster kritischer Stimmen kurzerhand zu "Gesprochen wird kaum darüber, aber eigentlich müsste jeder Bescheid wissen" geändert. Verbildlicht werden auch abendliche Galabesuche mit weiblicher Begleitung oder das unvermeidbare Duschszenario.
Das alles klingt summiert tatsächlich nach einem erfundenem Interview, doch auch die Kehrseite ist nicht zu vernachlässigen. Dass es schwule Fußballer gibt, ist statistisch gesehen absolut realistisch. Und sicherlich haben diese Profis mit dem Versteckspiel vor der Öffentlichkeit zu kämpfen. Angesprochene Themen, wie die enormen Hindernisse dauerhafter Beziehungen, sind logisch. Und auch Klischees sind nunmal nicht immer fern von der Realität, in diesem Fall vielleicht sogar tägliche Praxis. Was ebenfalls augenscheinlich wird: Das Thema zieht, ob Fake oder nicht, eine unheimliche Welle nach sich, von der ich mich mit diesem Artikel natürlich nicht freisprechen kann. Homosexualität im Fußball ist wieder ein Thema, über das gesprochen wird. Viele meinen, allein diese Aufmerksamkeit ist ein Schritt in die richtige Richtung. Das mag sein, doch würde das Interview auf einer reliablen Grundlage basieren, wäre damit eine uneingeschränkte Aufmerksamkeit auf die Thematik garantiert. Auch im "Interesse des Spielers", wie Köster sagt. Vielleicht folgt dem anonymen Interview bald mehr, vielleicht weicht der Trubel aber bald schon wieder dem nächsten Aufreger. Schließlich geriet das damalige Outing des Amateurfußballers Marcus Urban bis zum Tag des aktuellen Interviews auch in Vergessenheit.
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