Ich bewundere Leute, die einfach so ins Ausland gehen. Für ein halbes Jahr. Für ein Jahr. Vielleicht noch länger. Leute, die das machen, wovor ich selbst immer zu großen Respekt hatte. Ich habe damals ja nichtmal den Schüleraustausch nach Frankreich mitgemacht. Es ist nichtmal die Sprachbarriere, die ins Gewicht fällt. Wahrscheinlich ist es der Wegfall des Gewohnten und die plötzliche Eigenständigkeit, die mich zweifeln ließ. Feige, ich weiß. Umso mehr beeindruckte mich die Geschichte von Moritz Volz. Durch eine glückliche Fügung und eine Revolution im englischen Vereinsfußball wird der damals 16-jährige 1999 von Arsenal London umworben. Man kann nur ahnen, wie groß solch ein Schritt für einen Jugendlichen erscheinen mag. Die Entscheidung zur Zusage fiel letztendlich eher aus einer Verzweiflung heraus als aus Überzeugung.
Steve Rowley, Arsenals Chefscout und Arsène Wengers wichtigster Mitarbeiter, kam nach Bürbach, damit ich den Vertrag unterschrieb. Ich war nicht glücklich. Ich war nur erleichtert, dass die Frage «Was machst du?» endlich aufhörte. (S.25)
Ich bezweifle, dass Moritz Volz zu diesem Zeitpunkt die Ausmaße seiner Entscheidung im Blick hatte. Natürlich träumte er davon, Profispieler zu werden. Und das auch noch bei Arsenal London. Aber hat er damit gerechnet, erst 2010 wieder nach Deutschland zurückzukehren? Dass seine Heimat nun für immer London heißen wird und nicht mehr Bürbach? Es schimmert ein wenig durch, dass Volz seinen sportlichen Wechsel als großes Abenteuer betrachtete. Und er ließ sich treiben, doch niemals gehen. Dabei ist Unser Mann in London keine stetige Aufstiegsgeschichte. Nicht die Biographie eines Mannes, der alles erreicht hat. Volz schreibt mitunter von Enttäuschungen, Desillusionierung und persönlichen Niederlagen, ohne wiederum Selbstmitleid zu haben. Anfangs erschien ihm die Karriereleiter aber tatsächlich als Einbahnstraße. So geht es wohl jedem Jungprofi auf dem Weg nach oben. Bis er die Kehrseite kennenlernt.
Ich sprang von einer Jugendnationalelf in die nächste, und als ich bei Arsenal, einem der größten Teams der Welt, den Weg in die erste Mannschaft nicht direkt schaffte, erschie mir das schon als ein Schlag, dabei wurde er unmittelbar aufgefangen, als ich beim FC Fulham zum Premier-League-Spieler wurde. (S.239)
Volz gibt seinen Lesern einen Einblick in die Freuden aber auch das Leid eines professionellen Fußballspielers. Er ist sich seinen Privilegien bewusst, zeigt aber auch, dass der Beruf seine Akteure auf Dauer krank mache. Körperlich wie auch geistig. Im Fußball ist immer von Druck die Rede. Den meisten Druck üben die Spieler aber anscheinend auf sich selbst aus. Bei Volz ist es eine Verletzung, die über Jahre an ihm nagt. Er spielt unter Schmerzen, nimmt Tabletten und bereut es hinterher.
Selbst als Fußballfan sei jedoch gesagt, dass es nicht die Karriereschritte Volz' sind, die Unser Mann in London besonders lesenswert machen. Der Autor rückt sich selbst über weite Strecken sogar in den Hintergrund. Für den besonderen Lesegenuss sorgt seine Beobachtungsgabe im Großstadtleben. Die Beziehung zwischen England und Deutschland ist bekanntlich schon immer von Vorurteilen geprägt, wobei der größte Vorwurft wohl darin besteht, dass die andere Partei dermaßen viele Vorurteile hat. Aus seiner Irritation macht Volz bald eine Tugend. Wenn London einen typischen Deutschen haben will, lässt er sich eben als Hasselhoff-Anbeter für ein Magazin ablichten. In einer Kolumne für die Times führt er den Briten vor Augen, wie schräg doch häufig ihre Gewohnheiten und ihre Attitüde sind. Stets mit dem eigenwilligen englischen Humor, versteht sich, denn den hat Volz sich längst angeeignet. Das funktioniert deshalb so gut, weil Volz sich selbst nicht zu ernst nimmt. Auch peinliche Dinge enthält er den Lesern nicht vor, denn als Ausländer in England lernt man, über sich selbst zu lachen. Die kleinen Anekdoten, oft fernab vom Fußball, sind charmant, clever und humorvoll. Immer wieder findet man sich selbst wieder, etwa, wenn Volz sich pünktlich zur Fußball-WM in Deutschland wieder in ein Kind verwandelt:
Die alte Professionalität eines geübten Fußballklebebildersammlers aus Kindertagen kam sofort wieder über mich: Holländer, Amerikaner und Michael Ballack gingen voll leicht, wie man im Jargon sagte: Ihre Bildchen hatte ich schnell doppelt und dreifach. (S.177)
Als Fußballfan liest man selbstverständlich besonders gerne die Geschichten rund um den grünen Rasen der Premier-League-Stadien und Trainingsplätze. Volz streut diese immer wieder ein, doch ein wenig mehr Ballnähe wünscht man sich letztendlich doch. Als Kritik kann dies allerdings nicht gelten, schließlich richtet sich Unser Mann in London auch an diejenigen, die mit Abseitsstellungen und Blutgrätschen nicht viel am Hut haben. So wird auch der ein oder andere Begriff näher erläutert, der selbst sporadischen Bundesliga-Zuschauern geläufig sein sollte. Das ist zu verzeihen, denn der eigentliche Wert des Buches liegt in der ganz individuellen Sichtweise eines noch jungen Mannes, der sich dem Abenteuer England gestellt hat - und bis heute nichts daran bereut. Er schreibt teils abschweifend, manchmal auch aus dem Kontext gerissen. Doch immer ist der Leser gewillt, ihm zu folgen.
Kaufempfehlung!
Autor: Moritz Volz
Titel: Unser Mann in London
Seiten: 253
Seiten: 253
Verlag: rororo
Preis: 9,99€
Erschienen: 01.03.2012
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