Sonntag, 24. März 2013

Fußball gucken - eine Anleitung

Video games do a thing that no other industry does. You can not be bad at watching a movie. You can not be bad at listening to an album. But you can be bad at playing a video game. And the video game will punish you and deny you access to the rest of the video game.
Diese Weisheit stammt von Dara Ó Briain, einem irischen Comedian und Moderator. Da hat er recht, dachte ich mir, aber irgendwie auch nicht so ganz. Vor dem Länderspiel am Freitag witzelte ein Freund nämlich noch höhnisch: "Wer Länderspiele guckt, würde auch erneut in Russland einmarschieren." Damit wollte er keine unnötige Diskussion um Patriotismus und Nationalismus anzetteln, sondern viel mehr seinem Unmut über ein Phänomen Luft geben, das seit 2006 in der heutigen Form besteht: Dem sogenannten Eventfan. Da ich persönlich die Daseinsberechtigung dieser Fankultur nicht absprechen will, folgt an dieser Stelle Gott sei Dank auch keine Streiterei um das Thema. Welche Frage ich jedoch häufig stellen will, wenn ich mit Fußballlaien umgeben bin, ist eine, die den Bezug zu Ó Briain wiederherstellt:
Fußball gucken? Kannst du das überhaupt?

Meiner Meinung nach kann man nämlich sehr wohl schlecht darin sein, ein Fußballspiel zu verfolgen. Es geht mir gar nicht mal darum, ein Spiel vernünftig lesen zu können. Auch wenn ein Zuschauer die Regeln nicht beherrscht, kann er noch immer eine gute Figur in der hohen Kunst des Fußball Guckens abgeben. Für den Anfänger gilt lediglich: Nicht unvorbereitet in das Spiel gehen. Damit man es sich in der gemütlichen Runde vor dem Fernseher nicht verscherzt, sind folgende Grundsätze zu beachten.


Wähle dein Team.
Nichts ist langweiliger als ein neutraler Zuschauer. Denn mit Neutralität geht meist auch Objektivität einher. "Vereinsbrille" ist das Stichwort. Bei grenzwertigen Entscheidungen des Schiedsrichters darf nicht lange gezögert werden. Entweder du bist auf der einen Seite, oder auf der anderen. Ein Handspiel des eigenen Verteidigers war natürlich "nie im Leben" eines. Die gleiche Szene auf der anderen Seite sieht ganz anders aus. "Pure Absicht, dieser Drecksack!", darfst du dann gerne verkünden. Auch wenn du als Supporter einer Mannschaft gnadenlos in der Unterzahl bist, bleibt dir am Ende zumindest das gute Gefühl, dich mit der Bösen Seite der Macht angelegt zu haben.

Erfinde Rituale.
Du und nur du bist verantwortlich für den Sieg oder die Niederlage deiner Mannschaft. Lief es mal nicht so rund, kann das nur daran liegen, dass dein Trikot oder Schal ausgerechnet jetzt in der Wäsche ist. Wenn sich die Konstellation der Fans vor dem Fernseher ändert, muss sich der Neue erst durch eine gute Siegquote in den gesehenen Spielen beweisen. Ein, zwei kühle Bier vor dem Anpfiff sind zwar nicht wirklich notwendig, können aber unter dem Vorwand des Rituals beibehalten werden.

Die eigene Mannschaft/Spieler XY spielt schlecht.
Hier gibt es gleich mehrere Möglichkeiten. Die einfache, aber auch ungern gesehene Vorgehensweise ist das Runtermachen der eigenen Mannschaft. Hierbei muss gnadenlos übertrieben werden. Spielt ein Spieler seinen zweiten Fehlpass in der Partie, MUSS verkündet werden, dass dieser sich bereits seinen achten Fehlpass geleistet hat. Ohnehin hilft es ungemein sich auf ein bis drei Spieler zu versteifen, denen die ganze Misere anzuheften ist. Früher sagte man noch "Den hätte meine Oma besser gemacht", heute darf man sich selbst gerne auf den Platz wünschen. Schließlich war die eigene Leistung in der Soccerhalle vergangene Woche dermaßen over the top, dass ein Einsatz in der Profimannschaft nur noch eine Frage der Zeit ist. Außerdem muss die jahrelange Vereinstreue doch irgendwann belohnt werden.
Die zweite und angenehmere Möglichkeit ist das Retten in absoluten Sarkasmus. Dieser darf bei einem Fußballspiel ohnehin keinesfalls fehlen. Alle Attribute werden sprachlich umgedreht. Der langsame Innenverteidiger wird als "pfeilschnell" gelobt, der unbewegliche Mittelfeldspieler wird spontan zur "Katze vom Rhein" und der stolpernde Stürmer ist sowieso ein "Zauberer".

Die eigene Mannschaft kassiert ein Tor.
Fies, aber gerne benutzt ist die Floskel "Der Wiese hätte den gehalten". Anstatt sich auf die Fehler der eigenen Mannschaft zu konzentrieren, kann aber auch der Gegner diffamiert werden. Den Kopfball konnte der Spieler nur dank seiner überaus schönen Frisur so aufs Tor drücken. Boateng und Aogo dagegen sind diese Saison einfach nur ausgerutscht. Die können doch niemals mit Absicht getroffen haben.

Die eigene Mannschaft schießt ein Tor. Der Schütze ist der eben noch verspottete Spieler XY.
Hier gibt es nur eine Möglichkeit: "Ich hab's immer gesagt!" ist die einzig vernünftige Reaktion auf ein solches Szenario. Egal wie viele Wochen und Monate der Spieler nun schon Dreck zusammenspielt - für den Moment ist er der Held und darf gefeiert werden. Sogar von der Nationalmannschaft wird vor dem TV geredet, denn mit 35 ist der Stürmer doch im besten Fußballeralter. Fünf Minuten später ist übrigens alles wieder vergessen.

Spiele den Fachmann.
"Weiß nicht" gibt's nicht. Auf jede Frage muss geantwortet werden. Wenn die eigene Kompetenz nicht ausreicht, erfinde einfach irgendetwas. Warum der Trainer denn jetzt Richtung Tribüne geht? "Ach, der holt sich nur eben 'ne Stadionwurst." Bonuspunkte gibt es insbesondere, wenn der Wortlaut des Kommentators korrekt antizipiert wird. Werde dein Halbwissen so schnell es geht los. Wenn der Kommentator im TV deine Information dann "nachplappert", hast du den Respekt deiner Mitmenschen für wenige Sekunden sicher.

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